Tiefdepot des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg
Neuer Raum für alte Schätze
Betritt man den Innenhof des Germanischen Nationalmuseums im Zentrum Nürnbergs, so ist nicht erahnbar, dass sich unter den eigenen Füßen rund 70.000 Objekte aus 600.000 Jahren europäischer Kulturgeschichte befinden.
Denn hier – auf fünf Geschossen und über 20 Meter tief – erstreckt sich das neue Tiefdepot als Erweiterung der bestehenden Aufbewahrungsflächen.
Seit seiner Gründung im Jahr 1852 sammelt, erforscht und zeigt das Germanische Nationalmuseum Zeugnisse der Hoch- und Alltagskultur. Darunter befinden sich Gemälde und Skulpturen, Möbel, historische Kleider und Schmuck, Spielzeug, aber auch archäologische Funde und wissenschaftliche Instrumente. Der Bestand umfasst circa 1,4 Millionen Objekte, die meisten davon untergebracht in Depots. Werden diese Räumlichkeiten zunächst mit einer „Abstellfläche“ assoziiert, so sind sie doch viel mehr: „Depots sind Wissensspeicher zur nachhaltigen Kunst- und Kultursicherung, also das materielle Gedächtnis eines Museums“, erklärt Florian Kutzer, Architekt und Leiter der Abteilung Baukoordination des Germanischen Nationalmuseums. Im Falle von Nürnberg stießen die vorhandenen Depots irgendwann an ihre Grenzen. Hinzu kam die geplante Generalsanierung der bestehenden Gebäude des Architekten und Designers Sep Ruf, die eine temporäre Verlegung und Lagerung der ausgestellten Objekte notwendig macht.
Wohin mit der Erweiterung?
Beispiele wie die Depotgebäude des Museums Boijmans Van Beuningen in Rotterdam oder des Tiroler Landesmuseums in Hall zeigen, dass Zweckbauten durchaus einen hohen gestalterischen Anspruch erfüllen können. Entsprechende Szenarien spielte man auch in Nürnberg durch – vom Ankauf eines Gebäudes, dem externen Neubau im Stadtgebiet bis hin zu einem Tiefbau auf dem Museumsgelände. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile entschied sich der Bauherr schließlich für letztere Variante. „Das bedeutete natürlich mehr Aufwand, als wenn man irgendwo einen Hochbau errichtet hätte“, berichtet Kutzer. „Es brachte aber auch große Vorteile mit sich, die letzten Endes den Ausschlag gaben: Erstens sind die Wege kurz, wenn ein Objekt transportiert, angesehen oder untersucht werden soll. Zweitens wird der Sicherheitsaufwand reduziert, da sich der Zugang auf dem Museumsgelände befindet, das ohnehin kontinuierlich überwacht und gesichert wird. Und drittens taucht das Gebäude 11,60 Meter tief in das Grundwasser ein. Durch dessen konstante Temperatur zwischen 16 und 18 Grad Celsius wird auch jene innerhalb des Depots konstant gehalten. Der Energieaufwand ist entsprechend gering und damit kosten- und umweltschonend.“
Unkonventionell von oben nach unten
Neben dem beauftragten Münchner Architekturbüro Schmidt-Schicketanz Planer GmbH waren auch Kästner Ingenieure GmbH mit Sitz in Nürnberg als verantwortliche Tragwerksplaner in die ersten Vorüberlegungen involviert. Denn für die Statik und Konstruktion war der Schutz der setzungsempfindlichen Umgebungsbebauung maßgeblich. Hiermit ist vor allem das ehemalige, denkmalgeschützte Kartäuserkloster aus dem 14. Jahrhundert mit Kirche, Kreuzgängen und Mönchshäusern gemeint. „Weitere Herausforderungen stellten auch der Erddruck und die Eintauchtiefe des Bauwerks in den Grundwasserspiegel dar“, erklärt Roland Kreß, Ingenieur und Geschäftsführer von Kästner Ingenieure. „Zudem sollte das Bauwerk im laufenden Museumsbetrieb erstellt werden. Die Kombination dieser Anforderungen war nur durch eine Deckelbauweise lösbar.“ Diese setzte jedoch eine von „normalen“ Bauwerken diametral abweichende Denkweise aller Beteiligten voraus. Denn das Gebäude musste größtenteils von oben nach unten errichtet werden. „Zuerst wurde eine 1,20 Meter dicke und 25 Meter tiefe Bohrpfahlwand im Erdreich erstellt. Dann erfolgte der Einbau der 16 Innenstützen aus je zwei Stahlprofilen“, erläutert Roland Kreß. „Auf die Bohrpfahlwand, die Innenstützen und das Erdplanum wurde anschließend die 50 cm dicke Decke, also der Deckel des Tiefbaus, betoniert.“ Der anschließende Erdaushub erfolgte geschossweise, sodass nach und nach Umfassungswände und Deckenplatten zur Aussteifung gegen den einwirkenden Erddruck erstellt werden konnten. Sämtliche Arbeitsgeräte, Baumaschinen und - materialien wurden durch zwei Öffnungen im „Deckel“ in den immer weiter nach unten wachsenden Tiefbau befördert.
(Speicher-)Masse für langfristigen Werterhalt
Erst nach Fertigstellung des Rohbaus begann die eigentliche Realisierung der Depoträume, die durch einen umlaufenden Gang von den Umfassungswänden abgekoppelt sind. „Dadurch können wir unsere wertvolle Sammlung besser vor äußeren Einflüssen schützen, denen die Gebäudehülle ausgesetzt ist“, so Florian Kutzer. Sämtliche Innenwände wurden aus mittelformatigen Kalksandsteinen von KS-Original errichtet. Entscheidend für die Materialwahl waren das Gewicht der Steine und ihre hohe Druckfestigkeit. „Alle Depots sind mit einer Gaslöschanlage ausgestattet. Im Brandfall erhalten die Wände eine horizontale Belastung durch den Druck des austretenden Gases“, erläutert Kreß. „Wir brauchten also ein Mauerwerk mit hohem Eigengewicht, sodass die Wände nicht einfach umkippen. Ergänzend wurden sie mit Winkeln an den Deckenplatten befestigt."
Auch die hohe Speichermasse des inzwischen verputzten Kalksandsteins kommt den Depots zugute: Denn für den langfristigen Erhalt der Objekte wird ein stabiles Raumklima benötigt. Dank seiner hohen Rohdichte und den rein natürlichen Bestandteilen – Sand, Kalk und Wasser – ist der weiße Mauerstein in der Lage, überschüssige Wärme sowie Luftfeuchtigkeit aus den Räumen aufzunehmen und zeitversetzt, bei sinkender Temperatur beziehungsweise Raumluftfeuchte, wieder abzugeben. Das trägt nicht nur zu einem natürlich konstanten Raumklima innerhalb des Depots bei, sondern reduziert auch den Einsatz aufwändiger Gebäudetechnik.
Je nach Größe der unterzubringenden Objekte variieren die Geschosshöhen zwischen drei und vier Metern. Während im ersten Untergeschoss die Technikzentrale des Gebäudes untergebracht ist, stehen die darunterliegenden Ebenen der Museumssammlung zur Verfügung. Gemälde werden an verschiebbaren Gitterwänden hängend verwahrt, Arbeiten auf Papier in Grafikschränken und große Gegenstände in Weitspannregalen oder auf Podesten. Darüber hinaus wurden einige Depoträume mit Kompaktanlagen ausgestattet, die Bücherregale platzsparend aneinanderschieben. Fragile Objekte hingegen werden in feststehenden Regalen untergebracht.
Bauablauf „Just in Sequence“
Rund zehn Jahre dauerte die Errichtung des Tiefdepots, die nicht nur aufgrund der unkonventionellen Baureihenfolge besonders herausfordernd war. Kurz nach dem Spatenstich im Jahr 2014 wurden Gebeine und Skelette von insgesamt 63 ehemaligen Klosterbewohnern gefunden, die von Archäologen zunächst sorgfältig geborgen werden mussten, was einen Baustopp mit sich brachte.
„Das gesamte Baufeld ist bis auf eine kleine Lücke von der Bestandsbebauung umgeben. Und die Grundfläche des Depots deckt nahezu die gesamte zur Verfügung stehende Klosterhoffläche ab“, ergänzt Roland Kreß. „Deshalb standen nennenswerte Be- und Entladeflächen nur außerhalb der Baufläche zur Verfügung, die aufgrund der Innenstandlage ebenfalls sehr begrenzt waren.“ Der Abtransport des Erdaushubs ebenso wie die Anlieferung und Verarbeitung der Materialien musste deshalb „Just in Sequence“ erfolgen. Aufgrund der örtlichen Nähe seines KS-Werks in Schwaig konnte der mittelständische Hersteller des Markenverbunds, Zapf Daigfuss, dieser Anforderung problemlos und flexibel gerecht werden. Die Kalksandsteine wurden dem Baufortschritt entsprechend kurzfristig auf die Baustelle geliefert, der Transportweg betrug gerade einmal zwölf Kilometer.
Im richtigen Maß
Obwohl das neue Tiefdepot des Germanischen Nationalmuseums so viele Herausforderungen mit sich brachte, verkörpert es doch genau das, was Roland Kreß unter „einfachem Bauen“ versteht: „Durch den fachkundigen Bauherrn und die frühzeitige Einbindung in den Planungsprozess ist es uns gelungen, ein Bauwerk zu planen und zu errichten, das nahezu nur aus erforderlichen Bauteilen besteht. Damit will ich sagen: Man sollte nicht alles technisch Mögliche, sondern nur das wirklich Benötigte umsetzen“, führt er weiter aus. „Einfaches Bauen ist für mich die Reduzierung auf das tatsächliche Anforderungsprofil – vor allem vor dem Hintergrund der mehr als begrenzten Ressourcen unserer schönen blauen Kugel.“
Kästner Ingenieure GmbH, Nürnberg
KS-Planstein Mauersteine
Innenwände in Kalksandstein